Nachrichten

Der Zinnteller aus Waldtann – Ein Stück Identitätsgeschichte aus dem Gemeindearchiv Kreßberg | 05.10.2023

Die beiden großen Verwaltungsreformen der 1970er Jahre (Kreisgebiets- und Gemeindegebietsreform) führten sowohl auf Ebene der neu geschaffenen Landkreise als auch auf Ebene der Gemeinden zu neuen Identitätsfindungs- und –bildungsprozessen. Mit kleinen, öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen versuchte auch die 1973 aus den bis dato selbständigen Gemeinden Leukershausen, Marktlustenau, Mariäkappel und Waldtann neu gebildete Gemeinde Kreßberg ihrer Bürgerschaft eine Identität der Zusammengehörigkeit zu vermitteln. Ein anschauliches Beispiel dieser Identitätsgeschichte ist der vor kurzem dem Gemeindearchiv Kreßberg übergebene Waldtanner Zinnteller, der über seine Entstehung selbst leider nur wenig verrät. Anhand einiger weniger Anhaltspunkte lassen sich jedoch hier ein paar Aspekte seiner Entstehung nachvollziehen und beleuchten.
Auf der Vorderseite zeigt der Teller eine dominante, gezeichnete Abbildung der Waldtanner Evangelischen Pfarrkirche St. Ägidius. Darunter finden wir links das Wappen der Gemeinde Kreßberg und rechts das Wappen der Gemeinde Waldtann. Den Abschluss bildet der in einem geschwungenen Band dargestellte Schriftzug „Waldtann“. Eine Datierung oder einen Hinweis auf den Künstler, der die Zeichnung erstellt hat, suchen wir leider vergebens. Wir wissen nur, dass die gleiche Art der Zeichnung, nur aus einer anderen Blickrichtung, schon Anfang der 1970er Jahre auftaucht, z.B. auf einer im Gemeindearchiv überlieferten Einladungskarte zum Waldtanner Heimattag 1971 (Gemeindearchiv Kreßberg, Waldtann, WA 242). Damit dürfte die Zeichnung selbst vermutlich 1971 oder früher entstanden sein. Einen Anhaltspunkt auf die Entstehungszeit des Zinntellers liefern uns jedoch ein paar kleine Details im Gemeindewappen von Kreßberg, welches, nach genauer Wappenbeschreibung, „in Gold über einem grünen Dreiberg einen roten Krebs“ zeigt. Das auf dem Teller gezeigte Gemeindewappen von Kreßberg wurde in dieser Form vom Kreßberger Gemeinderat in den Sitzungen am 14. April und am 21. Juli 1980 beschlossen. Im Protokoll vom 21. Juli 1980 heißt es hierzu: „Die Gebrauchsgraphikerin Irmgard Klauss hat der Gemeinde eine erste farbige DIN A4 Wappenreinzeichnung zugeschickt“. „Auf Wunsch der Gemeinde wurden dabei offene Scheeren und geradestehende Fühler berücksichtigt […]“. Es folgte der einstimmige Beschluss des Gemeinderats, das Wappen in dieser Form dem Innenministerium bzw. dem Baden-Württembergischen Hauptstaatsarchiv zur Genehmigung vorzulegen. Auf dem Teller finden wir den Krebs im Kreßberger Gemeindewappen mit offenen Scheeren und ausgestreckten Fühlern wieder. Damit ist zu vermuten, dass der Zinnteller, der dem Herstellerstempel auf der Rückseite nach, in Bayern hergestellt wurde 1980 oder später zum Zwecke der Identitätsstiftung und im Zuge des damals in Mode gekommenen Ziergeschirrs aus Zinn entstanden ist. Es bleibt spannend, und vielleicht können Zeitzeugen dem Kreisarchiv über weitere Details zu dem Zinnteller berichten.

Matthias Röth, Kreisarchivar

Der Zinnteller aus Waldtann – Ein Stück Identitätsgeschichte aus dem Gemeindearchiv Kreßberg